Fraktionserklärung zum Bürgerentscheid Albert-Merglen-Schule

Veröffentlicht am 20.12.2022 in Aktuelles

Eine lange und hitzige Diskussion ging der Gemeinderats-Abstimmung über das Bürgerbegehren zum neuen Standort der Albert-Merglen-Schule voraus: Die Frage war, ob dem Bürgerbegehren mit 6301 Stimmen stattgegeben würde und die Schule am alten Standort neugebaut werden solle, oder ob es zu einem Bürgerentscheid mit offenem Ausgang, also auch der Möglichkeit, die neue Schule im Grünen zu bauen auf der Erweiterungsfläche des Friedhofs. Die Position der SPD war hier ganz klar für den Neubau im Grünen - die Kinder sollen raus aus dem Industriegebiet. Nach Diskussion und Fraktionserklärung entschied sich der Rat jedoch, die Position des Bürgerbegehrens zu übernehmen und einen Neubau der Schule am alten Standort vorzunehmen.

Die Fraktionserklärung für die SPD hielt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Werner Nuber, der Text ist hier nachfolgend nachzulesen:

 

 

Fraktionserklärung, 19.12.2022

Standort Albert-Merglen-Schule, Bürgerbegehren, Bürgerbescheid

Werner Nuber, stellvertretender Fraktionsvorsitzender

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

liebe Kollegen und Kolleginnen des Gemeinderats,

liebe Vertreter des Jugendrats,

meine Damen und Herren,

es geht heute um die Entscheidung, ob wir nach dem erfolgreichen Bürgerbegehren nun einen Bürgerentscheid wollen bzw. benötigen, oder ob die demokratische Legitimation mit dem Erfolg des Bürgerbegehrens nicht abschließend bereits gegeben ist.

Dies ist jedoch real betrachtet nur das Nebenthema, das zentrale Thema heute ist hingegen, und das wissen wir alle real, dass, wenn wir heute die Entscheidung treffen, keinen Bürgerentscheid durchzuführen, es eine endgültige Entscheidung für den zukünftigen Grundschulstandort der Albert-Merglen-Schule im Industriegebiet sein wird.

Ich werde deshalb in meiner Fraktionserklärung auf beide Punkte ausführlich eingehen.

Das zentrale Thema ist die Standortfrage.

Dies ist bereits daran ersichtlich, dass ausgerechnet die Fraktionen, die oft sehr wortlaut und wortstark für mehr Bürgerbeteiligung, für mehr Basisdemokratie, für mehr Transparenz, für mehr öffentlichen Diskurs eintreten, dass ausgerechnet diese Fraktionen bei dieser elementaren Frage, bei der es darum geht, wie die Lebenswelt unserer Kinder sein soll, bei der es um die UN-Rechtgeschützte Kindeswohlfrage geht, dass ausgerechnet genau diese Fraktionen keine Bürgerbeteiligung wollen. Diese Fraktionen lehnen es nun ab, die Bevölkerung entscheiden zu lassen.

Schlicht deshalb, weil offensichtlich die Angst im Nacken sitzt, heute die möglicherweise einmalige Chance zu verpassen, ihre Interessen durchsetzen zu können.

Um deutlich zu machen, warum die Fraktion SPD/ die Linke geschlossen einen Bürgerentscheid für die Herstellung der Legitimation einer endgültigen Entscheidung für notwendig erachtet, gehe ich noch einmal zurück in die Geschichte der Entscheidungsfindung zur Standortfrage.

Über mehrere Monate, zwischenzeitlich sogar Jahre hinweg, hat die Stadtverwaltung in hervorragender Weise die Standortfrage untersucht, u.a. wurden acht verschiedene Standorte anhand 16 Kriterien systematisch verglichen und uns Gemeinderäten und -rätinnen wurde in vielen Ausschüssen diese erstellte Matrix, die  Erhebungen und Untersuchungen, die gesamten Materialen präsentiert und zur Verfügung gestellt. Diese Untersuchungen sind übrigens alle nach wie vor unter Mandatos auffindbar und können nachgelesen werden.

Die Standortfrage wurde seitens der Stadtverwaltung nach diesen Vergleichsuntersuchungen stets eindeutig beantwortet. Bei nahezu allen Kriterien war der Standort auf der Erweiterungsfläche des Hauptfriedhof als der Geeignetste betrachtet worden.

Kurz vor der entscheidenden Abstimmung im Sommer diesen Jahres kam dann ertaunlicherweise von der obersten Stadtverwaltungsspitze eine Kehrtwende.

Für uns bzgl. eines sachbezogenen Argumentationsstrangs schwer nachvollziehbar, auch haben die Unterlagen - die wie gesagt auch heute noch nachlesbar sind - keinen Schluss auf eine Kehrtwende zugelassen. Herr Oberbürgermeister, wir bedauern dies wirklich sehr.

Die Mehrheit des Gemeinderats hat sich jedoch von dieser Kehrtwende nicht irritieren lassen. Trotz sehr, sehr mächtiger Angriffslustigkeit der Standortgegner im und außerhalb des Gemeiderats hat die Mehrheit des Gemeinderates beschlossen, beim Hauptfriedhof die Albert-Merglen-Schule zu bauen.

Mit diesem Beschluss wäre die Entscheidung normalerweise endgültig gefallen gewesen. Es ist bei uns im Land jedoch vorgesehen, dass wenn eine bestimmte Anszahl der stimmberechtigten Bürger und Bürgerinnen einen Beschluss des Gemeinderates nicht mittragen will, dass dann diese Entscheidung über das Instrument des Bürgerbegehrens nochmals neu getroffen werden muss.

Entweder nun mittels eines nochmaligen Gemeinderatsbeschluss, der dem Willen des Bürgerbegehrens entspricht oder eben mittels eines Bürgerentscheids.

Sie, Herr Oberbürgermeister Brand haben dies in Ihrer Eingangserklärung, dargelegt.

Diese zur repräsentativen Demokratie ergänzenden basisdemokratischen Instrumente sind gewollt und wir betrachten diese Ergänzungen als äußerst wertvoll.

Nebenbei wurden übrigens die Kriterien für mehr Bürgerbeteiligung von       der damaligen grün-roten Landesregierung bewusst gesenkt, auch nach den positiven Erfahrungen hinsichtlich der demokratischen Legitimation und der dadurch gewonnenen gesellschaftlichen Befriedung durch die Volksabstimmung zu Stuttgart 21.

Das Bürgerbegehren in Friedrichshafen zur Standortfrage Albert-Merglen-Schule  war erfolgreich. Herzlichen Glückwunsch dazu, Ihr Engagement hat sich gelohnt! 6301 Unterschriften, das verdient große Achtung.

Ein Teil der Bevölkerung hat sich mit dem Bürgerbegehren für den Grundschul-Standort im Industriegebiet, bzw. für einen Bürgerentscheid ausgesprochen.

Nur ehrlicherweise müssen wir alle sagen: Wir wissen in keiner Weise, in wie fern dieser Teil der Bevölkerung die bisher schweigende Mehrheit repräsentiert, wir wissen nicht einmal, ob die Bürger und Bürgerinnen, die unterschrieben haben, gegen den vom Gemeinderat beschlossenen Standort überhaupt sind, geschweige denn, ob diesen Bürgern und Bürgerinnen die wesentlichen Fakten zur Standortfrage bekannt waren. Es wurden ja auch zum Teil sehr wahrheitsverzerrende bis kuriose Behauptungen aufgestellt. Wie oft haben wir gehört, sicher jeder von uns, dass die Familie Wolpold enteignet werden soll - ein vollkommener Quatsch, weil Eigentümerin der Fläche die Stadt Friedrichshafen ist. Die Behauptung die Interessen der Schule würden mit dem Bürgerbegehren vertreten werden, ist grenzwertig nah am Fake-News-Bereich. Die kommisarische Schulleitung wie die Elternvertreter und -vertreterinnen waren immer ganz klar für den Standort an der frischen Luft am Hauptfriedhof gewesen.

Das Schulamt hat sich in seiner Stellungnahme ebenfalls für den neuen Standort ausgesprochen.

Die Befragung der Bevölkerung mittels eines Bürgerentscheids ist deshalb unseres Erachtens der notwendige Schritt, um eine wirklich demokratische Legitimation und damit auch eine Befriedung zu diesem Thema zu bekommen.

Abschließend dazu nochmals: Demokratie lebt vom öffentlichen Diskurs, vom öffentlichen Ringen nach dem Besten. Dies sollten wir alle aus fester Überzeugung angehen!

Nun aber zu der zentralen Frage, welcher Standort für unsere Kinder, die bekanntlich unsere Zukunft sind, der Beste ist.

Hier stehen wir unverrückbar - ja, wir sind Überzeugungstäter, wenn es um das Wohlergehen unserer Kinder geht!

Sie müssen mir als jemand, der sich seit über 30 Jahren beruflich für die Belange junger Menschen einbringt, verzeihen, dass ich mit einem Zitat einer, wenn nicht der Koryphäe der Erziehungswissenschaften, mit dem emertierten Tübinger Professor Hans Thiersch beginne.

Hans Thiersch hat Ende der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts den Begriff der Lebensweltorientierung in der Erziehungswissenschaft und der Sozialen Arbeit geprägt. Zitat: ‚Lebensweltorientierte Erziehung und Soziale Arbeit agiert in der Dimension des Raumes, sie sieht den Menschen eingebettet in ihren je erfahrenen Raum, so wie er sich sehr unterschiedlich z.B. für Kinder, Heranwachsende, Eltern, Frauen oder für alte Menschen darstellt. Sie arbeitet im Zeichen von Aneignung und Milieubildung und sucht bornierte, unattraktive und depravierende Strukturen eines verengten Lebensraumes für neue Optionen zu öffnen, indem gegebene Ressourcen zugänglich gemacht und neue inszeniert werden. Die Arbeit an der (sozialen) Infrastruktur eines Sozialraums wird neben der Arbeit am Fall und seinen sozialen Bezügen ein eigenständiger Aufgabenbereich.` Zitatende.

Jetzt mag dies etwas abgehoben klingen und nicht jeder hier möchte Erziehungswissenschaftler oder -wissenschaftlerin werden, es ist in einfachen Worten formuliert einfach, weil ganz konkret: Pädagogik alleine reicht eben gerade nicht aus, es braucht die attraktiven, offenen, nicht beengten, nicht belasteten Lebensräume um die Potentiale der Menschen, in diesem Fall der Kinder, entfalten lassen zu können.

Diese Lebensweltorientierung ist inzwischen Standard in der Erziehungswissenschaft, in der Sozialen Arbeit, vor allem aber auch bei der Städteplanung.

Die Erkenntnis, dass beengte, unwirtliche, umweltbelastete Lebens- und Wohnverhältnisse zu sozialen Problemen führt, dass wir damit Menschen psychosozial belasten, Kindern Entwicklungsräume nehmen, sozial belastete Wohngebiete erzeugen, ist heute Standard, in Deutschland, bei der OECD, bei der UN und sollte damit auch hier in Friedrichshafen als Standard ein Muss sein.

(Evtl. Erinnerung an Scharnhauser Park)

Warum spreche ich aber so vehement von dieser Belastung am bisherigen Standort. Es gibt hierzu Untersuchungen: Im Januar 2019 im PBU zur Stadtklimaanalyse Friedrichshafen präsentiert, erstellt wurden die Grundfolien von den Meterorologen Dr. Röckle und Dr. Ketterer von iMa Richter & Röckle GmbH & Co. KG.

Am bisherigen Standort sind die Temparaturen um bis zu 10 Grad Celcius höher als am neuen Schulstandort. Bis zu 10 Grad!! Das heißt im Sommer haben wir am bisherigen Standort, mittags, und es handelt sich ja bekanntlich zukünftig um eine Ganztagsgrundschule, 35 Grad, gefühlt laut Gutachten über 40 Grad -  am neuen Standort hingegen 25 Grad.

Glaubt hier irgendjemand im Ernst, dass dieser überhitzte Platz sich nicht elementar auf das Lernverhalten und das Sozialverhalten bei Kindern zwischen 6 und 10 Jahren auswirken wird? Glaubt hier jemand im Ernst, dass unter diesen Bedingungen konstruktiver Unterricht möglich sein wird? 10 Grad Unterschied, ich bitte jeden und jede sich kurz in die sommerheißen Tage reinzufühlen. Bis zu 10 Grad Unterschied. Das ist elementar!

Dazu kommt, dass ebenfalls nachweislich die Luftverschmutzung am bisherigen Standort wesentlich höher ist, ebenfalls die Lärmbelastung.

Und das sollen wir unseren Kindern zumuten?  Nein. Das geht nicht! Das wäre ein absolut unzulässiger Rückschritt!

Ich glaube nicht, dass diese Fakten bei all denen, die beim Bürgerbegehren unterschrieben haben, bekannt waren. Dies ist auch in Ordnung.

Uns, die nun abstimmen dürfen, sind diese Fakten jedoch seit drei Jahren bekannt. Wir haben die Verantwortung und Pflicht diese zu berücksichtigen! Wir können uns nicht mit dem Argument der Unwissenheit herausreden.

Nun zu dem Argument, beim Bau am neuen Standort würde die Kaltluftzufuhr für die Stadt unterbrochen. Auch hierzu gibt es in dem Gutachten der Metereologen Aussagen und Grafiken, die ich aus Zeitgründen uns im Detail erspare. Sie sind aber alle nachlesbar. Meine Aussagen sind überprüfbar.

Das Argument, die Kaltluftzufuhr aus Richtung Hauptfriedhof sei für die Stadt bedeutend, ist so nicht richtig. Die Kaltluftzufuhr ist beim Hauptfriedhof bereits bodennah, sie endet weitgehend an der 100 Meter entfernten Häuserzeile.

              

Die Stadt wird eben nicht durch eine Zufuhr aus dieser Richtung entscheidend gekühlt, vielmehr profitiert gerade dieser Standort davon, so wie ich es vorhin aufgezeigt habe, er wird aufgrund der Bodennähe des Kaltluftstroms gekühlt.

Auf das Argument, dass 0,7 ha für eine Grundschule zu bebauende Wiese aus Umweltgesichtspunkten nicht verantwortbar sei, darauf gehe ich nur ganz kurz ein. Mit dem gleichen Argument dürften wir das Gebiet Fallenbrunnen nicht entwicklen, dürften wir auch keine Nachverdichtungen vornehmen, dürften wir auch für Radwege keine Versiegelungen vornehmen. 0,7 ha bleiben 0,7 ha. das sind100 m auf 70 m, ein Fußballfeld hat exakt die gleiche Größe. Da geht es nicht um eine Großfläche, auch wenn das von den Gegnern und Gegnerinnen des Standortes und vom Hof Wolpold (auf dem im Übrigen 90 ha Fläche bewirtschaftet wird) so inszeniert werden will.

Es gibt viele weitere Argumente, die für den neuen Standort am Hauptfriedhof sprechen, ich möchte diese nun nicht alle aufzählen, sie sind in der Vergleichsmatrix der Stadtverwaltung nachlesbar - und ich gehe davon aus, dass Frau Dr. Höhne in ihrer Fraktionserklärung noch den ein oder anderen Punkt aufgreifen wird.

Vielen Dank.

 
 

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